Zurechnungsbesteuerung für ausländische Familienstiftungen europarechtswidrig
Zurechnungsbesteuerung für ausländische Familienstiftungen europarechtswidrig
Die sog. Zurechnungsbesteuerung gem. § 15 Abs. 1 AStG regelt die Zurechnung von Vermögen und Einkünften (bis Veranlagungszeitraum 2012: von Vermögen und Einkommen) einer ausländischen Familienstiftung an die bzw. den (in Deutschland) unbeschränkt steuerpflichtige Stifterin bzw. steuerpflichtigen Stifter oder an die (in Deutschland) unbeschränkt steuerpflichtigen bezugs- oder anfallsberechtigten Personen, indem eine Ausschüttung für Besteuerungszwecke fingiert wird. Ziel dieser Regelung ist im Wesentlichen die Verhinderung von Kapital- und Steuerflucht sowie die damit einhergehende Steuervermeidung durch die gezielte Einschaltung von ausländischen (Familien-)Stiftungen und (Familien-)Trusts.
Die Zurechnungsbesteuerung erfasst ausländische Familienstiftungen, bei denen die Stifterin bzw. der Stifter, ihre bzw. seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind (§ 15 Abs. 2 AStG). Bei einer ausländischen Familienstiftung mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat, ist die Zurechnungsbesteuerung gem. § 15 Abs. 6 AStG nicht anzuwenden, wenn nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15 Abs. 2 AStG genannten Personen rechtlich und tatsächlich entzogen ist und zwischen Deutschland und dem ausländischen EU-/EWR-Staat Auskünfte ausgetauscht werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen. Ob in Drittstaatenfällen die Ausnahmeregelung gem. § 15 Abs. 6 AStG entsprechend angewendet werden kann, weil anderenfalls ein Verstoß gegen die in Europa und darüber hinaus zu gewährende Kapitalverkehrsfreiheit vorliegen könnte, hatte der BFH in seinem Urteil vom 03.12.2024 (Az. IX R 31/22) zu klären.
Im Streitfall rechnete das Finanzamt den in Deutschland lebenden Begünstigten einer Schweizer Familienstiftung entsprechend ihrem jeweiligen Anteil das Einkommen (Streitjahr 2012) bzw. die Einkünfte (Streitjahre 2013 bis 2016) der Stiftung zu, da die Begünstigten sowohl anfalls- als auch bezugsberechtigt i.S.d. § 15 Abs. 1, 2 AStG gewesen seien. Finanzgericht und BFH sahen dies anders.
Zwar lagen die Voraussetzungen für eine Zurechnung des Einkommens bzw. der Einkünfte der Stiftung zulasten der inländischen Begünstigten dem Grunde nach vor. Denn die Stiftung war eine ausländische Familienstiftung i.S.d. § 15 Abs. 2 AStG. Die Begünstigten waren auch zu mehr als der Hälfte anfallsberechtigt; auf die Bezugsberechtigung ging der BFH nicht weiter ein. Jedoch schied im Streitfall aus unionsrechtlichen Gründen eine Zurechnung des Einkommens bzw. der Einkünfte nach § 15 Abs. 1 AStG aus. Denn zur Abwendung eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ist es wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts für die Anwendung des § 15 Abs. 6 AStG unschädlich, wenn die Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz nicht in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens, sondern in einem Drittstaat – wie vorliegend die Schweiz – hat. Anderenfalls können die steuerlichen Implikationen eine potenzielle Stifterin bzw. einen potenziellen Stifter nämlich davon abhalten, eine Stiftung im Ausland, insbesondere im Drittland, zu errichten und sie bzw. ihn stattdessen dazu bewegen, eine Stiftung im Inland aufzusetzen. Im Übrigen ist die Zurechnungsbesteuerung gem. § 15 Abs. 1, 2 AStG unter Berücksichtigung der Ausnahmeregelung gem. § 15 Abs. 6 AStG nach BFH-Auffassung sowohl verhältnismäßig als auch unionsrechtskonform ausgestaltet.
Ferner stellt der BFH klar, dass es für die Beurteilung, ob das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15 Abs. 2 AStG genannten Personen, also den Begünstigten, rechtlich oder tatsächlich entzogen ist, ausschließlich auf die Zivilrechtslage ankommt. Wären hingegen wirtschaftliche Maßstäbe einzubeziehen, hätte der begünstigte Personenkreis die mit einer Stiftung erwirtschafteten Erträge originär zu versteuern; es käme also nicht zur Zurechnungsbesteuerung i.S.d. § 15 Abs. 1 AStG. Im Streitfall ergab sich aus dem Stiftungsstatut keine unmittelbare Weisungsbefugnis der Begünstigten gegenüber dem Stiftungsrat der Stiftung. Denn dieser entschied über die Verwendung des Stiftungskapitals und der Erträgnisse nach freiem Ermessen. Den Begünstigten standen zudem keine klagbaren Ansprüche gegen die Stiftung zu. Folglich war ihnen die Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen rechtlich und tatsächlich entzogen.
Hinweis:
Neben dem ebenfalls am 24.04.2025 veröffentlichten BFH-Urteil zur geschäftsleitenden Holding (s. BDO Insight), welches Klarheit im Bereich der sog. Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG für deutsche Steuerpflichtige bringt, bietet auch das hier besprochene Urteil Erleichterungen für Expats und Familien mit internationaler Aufstellung.
Interessant ist dabei, dass nicht nur Drittlandsstiftungen angesprochen werden, sondern der BFH in seiner Pressemitteilung vom 24.04.2025 auch explizit die Anwendung der Ausnahmeregelung gem. § 15 Abs. 6 auf Trusts zulässt. Trusts sind Rechtsstrukturen aus insbesondere dem (angelsächsischen) Common Law, für die es im deutschen Recht keine Entsprechung gibt. Trusts sind dort weit verbreitet, da sie eine flexible und pragmatische Lösung von Familienvermögensfragestellungen bspw. bei Erbverteilungen oder zum Schutz des Vermögens Minderjähriger erlauben. Bisher ist der Zuzug aus diesen Ländern bei bestehenden (Familien-)Trusts mit hoher Unsicherheit bzgl. der steuerlichen Behandlung der Trusts verbunden.
Nun können Familien aus Ländern wie USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland oder Indien, die Trusts unterhalten, etwas besser ihren Zuzug nach Deutschland planen. Gerne unterstützen wir dabei. Allerdings bleibt noch abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber bzw. die deutsche Finanzverwaltung auf die aktuelle BFH-Rechtsprechung reagieren werden; ggf. dürfte auch zukünftig die vorausschauende Einholung einer verbindlichen Auskunft ratsam sein.