BVerwG stärkt die Kontrolle der Vertreter der Gemeinde in den Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften durch Gemeinderäte und -fraktionen BVerwG, Urteil vom 18.09.2024 – 8 C 3.23

Zusammenfassung

Aufsichtsratsmitglieder, die von Gemeinden als dessen Vertreter in den Aufsichtsrat von privatrechtlich Gesellschaften gewählt oder entsandt worden sind, unterliegen keiner aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Gemeinderat. Insbesondere kann § 394 Satz 1 AktG keine Einschränkung des Adressaten der Berichtspflicht entnommen werden.
 

Der Sachverhalt

Im vorliegenden Fall war die Stadt M mittelbar an einer Aktiengesellschaft, der N-AG, beteiligt, und der Beklagte, Oberbürgermeister der Stadt M, war Aufsichtsratsmitglied der N-AG. Die Klägerinnen, Fraktionen im Rat der Stadt M, verlangten vom Beklagten Einsicht in bestimmte Unterlagen, die mit einer Aufsichtsratssitzung der N-AG vom Juni 2018 in Zusammenhang standen. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Verweis auf seine gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht ab.

Das VG Düsseldorf gab der Klage zunächst teilweise statt und ordnete an, dass Einsicht gewährt werden müsse, jedoch unter der Einschränkung, dass Betriebsgeheimnisse und vertrauliche Informationen unberücksichtigt bleiben.

Im darauffolgenden Berufungsverfahren stellte das OVG Münster fest, dass der Anspruch auf Akteneinsicht nach der Gemeindeordnung NRW auch gegenüber dem Beklagten bestehe.

Daraufhin legte der Beklagte Revision ein, welche das BVerwG mit Urteil vom 18.09.2024 zurückwies.
 

Entscheidungsgründe des BVerwG:

Das BVerwG bestätigte die Auffassung des OVG Münster und stellte gleichermaßen fest, dass die gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsräten in Aktiengesellschaften gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3, § 116 Satz 2 AktG bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 394 AktG suspendiert werde.
Nach § 394 Satz 1 AktG unterliegen Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden sind, hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, keiner Verschwiegenheitspflicht. Dies gilt nach Satz 2 nicht für vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, wenn ihre Kenntnis für die Zwecke der Berichte nicht von Bedeutung ist. Diese Berichtspflicht kann gem. § 394 Satz 3 AktG auf Gesetz, auf Satzung oder auf dem Aufsichtsrat in Textform mitgeteiltem Rechtsgeschäft beruhen. Eine solche landesrechtlich bestimmte Berichtspflicht findet sich nach Auffassung des OVG Münster, bestätigt durch das BVerwG, in § 113 Abs. 5 Gemeindeordnung NRW, wonach die Vertreter der Gemeinde den Rat über alle Angelegenheiten von besonderer Bedeutung frühzeitig zu unterrichten haben. Strittig in diesem Zusammenhang war bislang allerdings die Frage, ob die Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, eine gesonderte Verschwiegenheitspflicht des Berichtsempfängers voraussetzt. Es lasse sich aus § 394 Satz 1 AktG nicht entnehmen, dass Bestimmungen, die nach Satz 3 eine Berichtspflicht begründeten, ein besonderes Maß an Vertraulichkeit gewährleisten müssten und dies bei einer größeren Zahl von Berichtsempfängern wie dem Rat einer Kommune von vornherein nicht der Fall sein könne. Die Freistellung von der Verschwiegenheitspflicht nach § 394 Satz 1 AktG setze demnach, wie bereits vom OVG Münster angenommen, keine Gewähr besonderer Vertraulichkeit des Berichtsempfängers voraus.
 

Praxisauswirkungen:

Das Urteil klärt die bisher offene Streitfrage zum Verhältnis von Gesellschaftsrecht (Bundesrecht) und Kommunalrecht (Landesrecht). Das BVerwG stärkte durch sein Urteil die Kontrolle der Vertreter der Gemeinde in den Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften durch die Gemeinderäte und -fraktionen. Eine gesonderte Unterrichtung einzelner Fraktionen war nicht Gegenstand des Verfahrens und ist u.E. zurückhaltend zu beurteilen. Es stellt klar, dass Kommunen und ihre Organe wie der Rat bei der Verwaltung ihrer Unternehmensbeteiligungen mehr Transparenz und Kontrolle über relevante Informationen erhalten, ohne dass die Verschwiegenheitspflichten aus dem Aktienrecht dieser Informationsfreiheit grundsätzlich entgegenstehen.