Verzinsung von unionsrechtswidrig einbehaltenen Kapitalertragsteuerbeträgen

Schuldner von Kapitalerträgen sind bei grenzüberschreitenden Sachverhalten auch dann zum Einbehalt, Abführung und Anmeldung der Kapitalertragsteuer verpflichtet, wenn Deutschland aufgrund eines bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens oder nach Unionsrecht kein Besteuerungsrecht zusteht. Vom Steuerabzug sind die Kapitalerträge nur ausgenommen, sofern eine gültige Freistellungsbescheinigung vorliegt oder in Fällen der Vergütungen für Rechteüberlassungen die Freigrenze von EUR 10.000 nicht überschritten ist. Wurde die Steuer an das Finanzamt abgeführt, können Steuerpflichtige zur Steuerentlastung in einem weiteren Schritt die Erstattung der nach den nationalen Rechtsvorschriften zu viel erhobenen Abzugsteuer beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) beantragen.

Seit einigen Jahren erweisen sich jedoch vor allem die überlangen Bearbeitungszeiten im Steuererstattungsverfahren beim BZSt als problematisch. Denn in der Zwischenzeit entstehen dem Steuerpflichtigen Liquiditätsnachteile, welche mangels einschlägiger nationaler Verzinsungsregelung vom Fiskus nicht ausgeglichen werden. Der BFH hat nun in seinem Urteil vom 25.02.2025 (Az. VIII R 32/21) eine wichtige Entscheidung zum Verzinsungsanspruch für ausländische Anteilseignergesellschaften gefällt, denen einbehaltene Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen nach Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) i.V.m. § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. (heute § 50c Abs. 3 Satz 1 EStG) zu erstatten ist.

Im Streitfall hatte eine deutsche Aktiengesellschaft (AG) in den Jahren 2007 bis 2011 Gewinnausschüttungen an ihre österreichische Muttergesellschaft vorgenommen und entsprechend Kapitalertragsteuer (nebst Solidaritätszuschlag) einbehalten und abgeführt. Für eine der Gewinnausschüttungen war der österreichischen Muttergesellschaft zunächst eine Freistellungsbescheinigung erteilt, jedoch unter Berufung auf die in § 50d Abs. 3 EStG 2007 geregelte Missbrauchsvermutung widerrufen worden. Die Erstattung der von der AG einbehaltenen Kapitalertragsteuer an die Muttergesellschaft lehnte das BZSt mit derselben Begründung zunächst ab. Es erstattete die Steuer erst, nachdem der EuGH im Dezember 2017 mit den Entscheidungen Deister Holding (C-504/16) und Juhler Holding (C-613/16) diese Regelung für europarechtswidrig erachtet hatte. Streitgegenständlich waren nunmehr die vom BZSt weiterhin abgelehnten Verzinsungsanträge der österreichischen Muttergesellschaft. Finanzgericht und BFH gaben der Klage im Wesentlichen statt.

Zwar steht der in Deutschland steuerpflichtigen Muttergesellschaft eine Verzinsung der Erstattungsbeträge mangels entsprechender nationalen Verzinsungsregelungen nicht zu. Allerdings leitet der BFH den Verzinsungsanspruch analog aus dem Unionsrecht ab. Entscheidend und ausreichend für eine Verzinsung der Erstattungsbeträge ist, dass deren Vorenthaltung auf einer unionsrechtswidrigen Auslegung oder Anwendung der maßgeblichen nationalen Regelungen beruhte. Dies gilt unabhängig davon, dass der Unionsrechtsverstoß – wie vorliegend - im Rahmen eines Einspruchsverfahrens festgestellt wird; eines Klageverfahrens bedarf es nicht.

Der Kapitalertragsteuerabzug im Zeitpunkt der Ausschüttung ‑ ungeachtet der Steuerfreiheit nach Art. 5 MTR und § 43b EStG ‑ ist in Verbindung mit einer anschließenden antragsgebundenen Erstattung der Steuerabzugsbeträge im Rahmen eines zweigeteilten Verfahrens grundsätzlich unionsrechtskonform. Vorliegend bestand jedoch ein Unionsrechtsverstoß darin, dass das BZSt der Muttergesellschaft die Erstattung unter Berufung auf die Regelung in § 50d Abs. 3 EStG 2007 und damit einer – wenn auch erst später vom EuGH festgestellten - fehlerhaften Auslegung und Anwendung des Unionsrechts vorenthalten hatte.

Schließlich nahm der BFH auch zum Zinslauf Stellung. Dieser beginnt in Fällen, in denen ohne ein vorheriges Freistellungsverfahren die Erstattung der Kapitalertragsteuer beantragt und im Erstattungsverfahren unionsrechtswidrig vorenthalten wird, drei Monate nach der Einreichung eines formal ordnungsgemäßen Erstattungsantrags. Insofern greift der BFH auf die gesetzlich geregelte Dreimonatsfrist als maximale Bearbeitungszeit im Verfahren zur Freistellungsbescheinigung zurück. In Fällen, in denen eine zunächst erteilte Freistellungsbescheinigung unionsrechtswidrig vom BZSt widerrufen wird, beginnt der Zinslauf bereits mit dem Tag des Einbehalts der Kapitalertragsteuer durch die ausschüttende Gesellschaft. Der Zinslauf endet jedenfalls mit dem Tag der Auszahlung des Erstattungsbetrags. Außerdem klärte der BFH, dass die Zinsen für die jeweiligen Verzinsungszeiträume taggenau und mit jährlich 6 % (hier: Verzinsungszeiträume vor dem 01.01.2019) zu berechnen sind.

Hinweis:

Die Entscheidung führt zu Verzinsungsansprüchen in den zahlreichen Fallkonstellationen, in denen sich das BZSt im Erstattungsverfahren auf die generelle, aber unionsrechtswidrige Missbrauchsvermutung in § 50d Abs. 3 EStG 2007 gestützt hat. Die Urteilsbegründung lässt sich aufgrund ihres bestimmten Bezugs zwar nur bedingt auf andere Fallgruppen übertragen; allerdings knüpft die Entscheidung auf den ebenfalls zu Gunsten der Steuerpflichtigen entschiedenen Fall bei Dividenden im Urteil vom 13.03.2024 (Az. I R 1/20, vgl. BDO-Insight) an, was die Heranziehung der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen mit unionsrechtswidrig einbehaltener Kapitalertragsteuer denkbar macht.