Das Thema Nachhaltigkeit ist gekommen, um zu bleiben

Carmen Auer und Viola Möller, Fachbereichsleiterinnen Sustainability Services, und Frank Wiethoff, Leiter Management Advisory, diskutieren, wie Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bei der Bewältigung der vielfältigen neuen Herausforderungen unterstützen können.

Die CSRD, die die EU im April 2021 auf den Weg gebracht hat, hat für erhebliche Diskussionen gesorgt. 50.000 Unternehmen, die auf dem europäischen Markt tätig sind, fallen ab dem Geschäftsjahr 2025 unter eine einheitliche Berichtspflicht. Allein in Deutschland wird die Zahl der Unternehmen von 500 auf 15.000 steigen. Der Aufschrei in der Wirtschaft muss enorm gewesen sein, oder?

Carmen Auer: Könnte man meinen. Tatsächlich war der Aufschrei im Jahr 2021 noch gering, weil viele Unternehmen erst sehr spät realisiert haben, dass sie in Zukunft reguliert werden und die umfangreichen Anforderungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Der Aufschrei kommt also erst jetzt, mit einer gewissen Verzögerung. Und es gibt immer noch Organisationen, die erst jetzt realisieren, was auf sie zukommt. Man muss aber auch klar sagen, dass viele Unternehmen Nachhaltigkeit längst als wichtiges Thema für sich erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet haben. Sie sehen die Entwicklung als Chance und wollen sie nutzen.


Also überwiegt eher proaktives Handeln als Widerwillen?

Frank Wiethoff: Der Druck kommt von mehreren Seiten. Ob seitens des Kapitalmarktes, der Regulatorik oder der Konsumentinnen und Konsumenten, auf die großen Unternehmen bzw. Konzerne wirkt bereits eine große Erwartungshaltung. Es sind diese Unternehmen, die zwar einerseits über eine relativ große Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen, um z. B. den Anforderungen an die Berichtspflicht und alles, was damit zusammenhängt, personell und finanziell aufzufangen, aber gleichzeitig drohen diesen Firmen enorme Kosten, weil sie ihre Geschäftsmodelle teilweise komplett überdenken müssen. Theoretisch müssten sie ggf. sehr kurzfristig neue Lieferantenbeziehungen aufbauen, bestehende abmoderieren und dabei Lieferketten unterbrechen und komplett neu aufbauen – das wiederum würde ihre Produktion zeitweise komplett zum Erliegen bringen. Deshalb sagen viele Unternehmen durchaus nachvollziehbar: ganz langsam, eins nach dem anderen. Das ist ein gigantischer Prozess, den die Berichtspflicht in Gang gesetzt hat und die noch weitreichenderen Auswirkungen haben wird als die Digitalisierung.

Viola Möller: Man muss aber auch sagen, dass das Thema Nachhaltigkeit für die großen Player nicht neu ist. Einige sind schon lange berichtspflichtig und haben Investorinnen und Investoren, die auch schon seit mehr als einem Jahrzehnt auf das Thema achten. Zwar müssen auch diese Unternehmen mit der CSRD an vielen Stellen nachschärfen, aber sie haben einfach schon andere Voraussetzungen. Die Herausforderung wird vor allem für die vielen großen Kapitalgesellschaften bestehen, die jetzt berichtspflichtig werden. Zum Teil auch für die, die nicht originär berichtspflichtig sind. Denn plötzlich wollen auch Kundinnen und Kunden wissen, ob die Rohstoffe vom anderen Ende der Welt bezogen werden, ob Lieferanten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair bezahlen oder aus welchen Stromquellen Anlagen betrieben werden. Und wenn diese Informationen nicht geliefert werden können oder als nicht kompatibel bewertet werden, springen die Kundin oder der Kunde im Zweifelsfall vielleicht ab. All das übt dauerhaft viel mehr Druck aus als die bloße Berichtspflicht.

Carmen Auer: Das Ziel der EU war von Anfang an klar definiert: Es geht nicht darum, jedes Jahr einen hundertseitigen Bericht zu erstellen, den kaum jemand liest. Das große Ziel ist, dass sich die Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen, ihr Geschäftsmodell überdenken und damit eine Transformation der gesamten Wirtschaft einleiten.


Worin sehen Sie denn die größten Chancen in einer nachhaltigeren Wirtschaft?

Viola Möller: Dies hängt natürlich vom jeweiligen Geschäftsmodell ab. Aber auch den größten Nachhaltigkeitskritikern sollte klar sein, dass ihnen irgendwann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weglaufen, wenn sie in diesen Bereichen nicht aktiv sind - oder die Bewerberinnen und Bewerber ausbleiben. In Deutschland spüren wir schon heute einen Mangel an Arbeitskräften. Und mit üppigen Gehältern allein kann man den Nachwuchs nicht mehr locken, irgendwann ist der Grenznutzen erreicht. Die Bewerberinnen und Bewerber wollen immer mehr einen gesellschaftlichen Mehrwert in ihrer Tätigkeit sehen, fordern eine bessere Work-Life-Balance und erwarten einen Sinn hinter dem, was sie tun. Das gilt nicht mehr nur für Start-ups, sondern zunehmend auch für die Unternehmenslandschaft.

Carmen Auer: Aber auch die Finanzierung ist derzeit ein entscheidender Faktor. Wenn die Geschäftspraktiken Nachhaltigkeitsstandards nicht berücksichtigen, werden einige Banken keine Kredite mehr oder nur zu schlechteren Konditionen vergeben.


Mit welchen Konsequenzen müssen denn Unternehmen rechnen, wenn sie ihrer Berichtspflicht nicht nachkommen?

Carmen Auer: Es ist noch unklar, ob eine solche Vernachlässigung Bußgelder nach sich ziehen wird. Die Richtlinie muss noch in deutsches Recht umgesetzt werden. Neben der Berichtspflicht gibt es aber auch eine Prüfpflicht - und hier kann es zu entsprechenden Einschränkungen in den Vermerken bzw. Testaten kommen. Genau darauf werden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, NGOs und die Presse stürzen und schauen, wo nicht transparent gearbeitet wurde, wo vielleicht sogar Greenwashing betrieben wird. Und der Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust, der damit einhergehen könnte, wäre viel geschäftsschädigender als Bußgelder.


Sie haben für Ihre Arbeit sogar einen eigenen Ansatz entwickelt, mit dem ein Fahrplan für Ihre Kundinnen und Kunden skizziert wird.

Frank Wiethoff: Ja, dies ist richtig. Im Prinzip handelt es sich hierbei um eine elektronische Checkliste. Man beantwortet einige wenige Fragen und die dazugehörige Software ermittelt und bewertet dann den Reifegrad des jeweiligen Unternehmens, zeigt auf, wann welche Regelungen relevant werden und welche Schritte als Nächstes angegangen werden sollten. Das ist weniger etwas für große kapitalmarktorientierte Unternehmen, die ohnehin sehr nah an den Regulatoren sind und die Entwicklungen sehr eng begleiten, sondern vor allem für kleine und mittlere Unternehmen spannend, die nicht über die Personalressourcen verfügen und sich eher abwartend verhalten und dann reagieren.


Frau Möller, Sie haben einmal gesagt, dass es beim Thema Nachhaltigkeit nicht zwingend um Perfektion gehen soll, sondern um Fortschritt. Was genau meinen Sie damit?

Viola Möller: Meine Erfahrung der letzten zehn, fünfzehn Jahre sagt mir, dass es erfolgversprechender ist, sich Schritt für Schritt dem Ziel zu nähern. Wenn ich einen Marathon laufen oder Hochsprung machen würde, würde ich auch nicht gleich mit den 42 Kilometern anfangen oder die Latte bei 2,50 Meter anlegen. So ist es auch mit der neuen Nachhaltigkeitsverordnung, mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der EU-Taxonomie – hier reden wir insgesamt von mehreren tausend Seiten Regulatoriktext. Wenn wir das einem Unternehmen auf den Tisch legen und sagen, das muss jetzt alles so umgesetzt werden, dann geht der Gegenüber meist direkt in eine Abwehrhaltung - verständlicherweise. Wenn man so vorgeht, ändert sich natürlich dann auch nichts. Aus meiner Erfahrung ist es sinnvoller, erst einmal herauszuarbeiten, was für das eigene Unternehmen relevant sein könnte, und sich dann Schritt für Schritt vorzuarbeiten, bevor man von einer scheinbar überwältigenden Aufgabe überrollt wird und in eine Schockstarre verfällt.

Carmen Auer: Auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle beispielsweise, das die Einhaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz überwacht, ist sich bewusst, dass nicht alle Lieferketten von heute auf morgen komplett umgekrempelt werden können. Es geht darum, mehr Transparenz zu schaffen, die Risikoanalysen sukzessive auszuweiten und mit den Lieferanten und Lieferantinnen in einen Dialog zu treten.


Warum ist denn gerade BDO als Partner so geeignet dafür, um diese Aufgaben anzugehen?

Viola Möller: Wir decken ein sehr breites Spektrum ab. Wir haben einerseits viel Erfahrung mit großen Unternehmen, sind aber auch in der Lage, uns auf die Anforderungen und Bedürfnisse kleinerer Mandanten einzustellen. Zudem spiegeln wir die Bandbreite von ESG in unserer Teamstruktur: wir haben zum Beispiel Umweltwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im Team, Sicherheitsingenieurinnen und -ingenieure, aber genauso Absolventinnen und Absolventen der “klassischen” Betriebswirtschaft.

Carmen Auer: Zusammen haben Viola und ich jahrzehntelange Erfahrung in diesem Umfeld und können die unterschiedlichsten Themen abdecken - sei es die Berechnung von CO2-Emissionen, die Durchführung einer menschenrechtlichen Risikoanalyse oder die Entwicklung eines prüffähigen Nachhaltigkeitsreportings.


Inwieweit haben sich Ihre Arbeit und Ihre Selbstwahrnehmung als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft durch die CSRD geändert?

Frank Wiethoff: Man darf nicht vergessen, dass wir bei BDO nicht nur prüfen, sondern auch beraten. Wir nehmen die Unternehmen an die Hand, stellen die wichtigen Fragen und kennen die richtigen Antworten: Was gibt der Markt her? Was ist das Ziel? Wie erreicht man dieses? Wie können wir unterstützen? Genau in diesem Transformationsprozess können wir helfen.

Viola Möller: Ich glaube auch, dass wir als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gemäß unserem Anspruch, die Dinge noch transparenter und sachgerechter darzustellen, auch bei der CSRD eine wichtige Rolle inne haben. Es ist auch im Nachhaltigkeitsbereich Teil unserer Aufgabe, Dinge kritisch zu hinterfragen und unangemessene Inhalte zu kommentieren, auch wenn sie derzeit noch keiner Prüfpflicht unterliegen. Das ist gerade mit Blick auf das oftmals zitierte “Greenwashing” und für die langfristige Akzeptanz von ESG sehr wichtig.

 


Wie integrieren Sie das Thema Nachhaltigkeit denn bei BDO?

Carmen Auer: Zum einen sind wir selbst berichtspflichtig. Zum anderen gilt für uns der klassische Spruch: walk the talk. Wenn wir andere Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeitsmanagement und -berichterstattung beraten, müssen wir das Thema auch in der eigenen Organisation leben. Alles andere wäre unglaubwürdig. Zum Glück ist unser Vorstand hier sehr engagiert und wir arbeiten derzeit an vielen Zielen, Konzepten und Maßnahmen. Wie bei den meisten Unternehmen gibt es auch bei uns einige Aspekte, die unter Nachhaltigkeit fallen, die aber bisher nicht so genannt und gebündelt wurden. Das alles strategisch aufeinander abzustimmen, das ist im Moment unsere Aufgabe.


Was sind da die größten Baustellen?

Frank Wiethoff: Wir sind kein produzierendes Unternehmen. Haben wir als Organisation einen großen Einfluss auf Umwelt und Klima? Sicherlich nur sehr begrenzt. Aber natürlich können auch wir etwas tun: da ist z. B. das Thema Mobilität. Bei BDO haben wir für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das kostenlose Deutschlandticket eingeführt, um die Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fördern. Auch Flüge innerhalb Deutschlands einzuschränken, gehört dazu. Darüber hinaus bieten wir beispielsweise mit dem Jobrad eine weitere vergünstigte Mobilitätsalternative an. Wenn wir da ansetzen, auch und gerade als Führungskräfte, und es schaffen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzunehmen, dann können wir schon viel erreichen.

Viola Möller: Es sind ja auch viele kleine Dinge, über die man sich selten Gedanken macht - zum Beispiel das Ausdrucken von Dokumenten. Das scheint oft eine Kleinigkeit zu sein, aber wenn man es aus der Sicht des Unternehmens betrachtet, kommen da schnell große Mengen zusammen, die dann durchaus einen Einfluss haben. Denn auch hier gilt, dass man nicht immer das große, scheinbar unüberwindbare Ganze auf einmal ändert, sondern sich Schritt für Schritt vorarbeitet. Jeden Tag ein bisschen weiter. Das gilt nicht nur für unsere Branche oder Unternehmen, wir brauchen an vielen Stellen auch ein Umdenken in der Gesellschaft, in allen Bereichen des täglichen Lebens.


Wie wird sich die CSRD in den kommenden Jahren entwickeln?

Carmen Auer: Eines ist sicher: Die Rahmenbedingungen werden noch komplexer, die Regeln noch strenger. Und während derzeit die gesamteuropäische Regulierung stark im Fokus steht, wird es in absehbarer Zukunft sicherlich auch Bestrebungen geben, weltweit gültige Standards zu etablieren, die einem globalen Thema auch gerecht werden.

Viola Möller: Vieles ist noch nicht bis ins Detail ausgearbeitet oder interpretiert. Wir erleben derzeit, wie sich das Thema „Nachhaltigkeit“ über seine ursprüngliche Bedeutung hinaus in nahezu alle Unternehmensbereiche ausdehnt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir es mit einem Prozess zu tun haben, der sich ständig weiterentwickelt und nicht irgendwann abgeschlossen sein wird. Das Thema Nachhaltigkeit ist gekommen, um zu bleiben und wird uns nicht nur in den nächsten Jahren, sondern für immer beschäftigen.