Biodiversität in der Berichterstattung von DAX-40-Unternehmen
Biodiversität in der Berichterstattung von DAX-40-Unternehmen
Der 22. Mai 2025 ist der internationale Tag der biologischen Vielfalt. Seit 1994 ruft die UNESCO jährlich zu diesem Tag auf und 2025 steht unter dem Motto „Harmonie mit der Natur und nachhaltige Entwicklung“. Biodiversität bzw. biologische Vielfalt umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und in den Ökosystemen und repräsentiert sowohl die genetische Zusammensetzung von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen als auch die komplexen Wechselwirkungen und Strukturen der Ökosysteme. Sie spielt eine zentrale Rolle für das Überleben und das Wohlergehen von Menschen, bspw. In der Nahrungsmittelproduktion, der Entwicklung von Medikamenten, der Regulierung des Wasserhaushalts und im Bereich Klimaschutz durch Kohlenstoffbindung.
Die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 ist zentraler Bestandteil des EU Green Deals und zielt darauf ab, die biologische Vielfalt in Europa bis 2030 auf einen Pfad der Erholung zu bringen. Der zunehmende politische Fokus auf die biologische Vielfalt wird auch in den ESRS (Environmental Sustainability Reporting Standards), den verpflichtend anzuwendenden Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung im Rahmen der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), deutlich: Der ESRS E4 verlangt von Unternehmen, die das Thema auf Basis ihrer Wesentlichkeitsanalyse als „wesentlich“ eingestuft haben, detaillierte Informationen über ihre Auswirkungen auf die Biodiversität sowie die Risiken und Chancen im Zusammenhang mit dem Verlust der biologischen Vielfalt offenzulegen.
Die erste Welle der ESRS-Berichte bietet Anlass, den Stand der Biodiversitätsberichterstattung der DAX-40-Unternehmen zu analysieren. Im Folgenden werden zentrale Erkenntnisse daraus dargestellt.
Wesentlichkeitsanalyse zu ESRS E4: ein komplexes Feld mit Umsetzungsherausforderungen
Die Anzahl der Unternehmen, die zum Thema Biodiversität berichten, ist gegenüber den CSR-RUG-Berichten1 des Vorjahres angestiegen. So stuften 53 % der DAX-40-Unternehmen Biodiversität als wesentliches Thema ein, während dieser Anteil im Vorjahr bei 38 % lag.
Die Bewertung von Biodiversität im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse stellt Unternehmen vor methodische und organisatorische Herausforderungen. In der Praxis zeigt sich, dass beispielsweise standortbezogene Analysen fehlen, indirekte Auswirkungen in der Lieferkette selten berücksichtigt werden und ökologische Abhängigkeiten schwer messbar sind. Mehrere Unternehmen verweisen auf einen fortlaufenden Lernprozess sowie auf bestehende Unsicherheiten in Bezug auf die Auswahl geeigneter Bewertungsansätze. So wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass das Verständnis der Auswirkungen auf die biologische Vielfalt aktuell noch ausgebaut werde.
Als Orientierungshilfe kann hier etwa der Praxisleitfaden der Umweltstiftung Michael Otto zum ESRS E4 dienen, der praxisnahe Hinweise zur Umsetzung und Ausgestaltung der Wesentlichkeitsanalyse im Bereich Biodiversität enthält.
Biodiversität vor allem als Impact-Thema erkannt
Die Analyse der DAX-40-Berichte zeigt deutlich: Biodiversität wird bislang überwiegend aus der Perspektive negativer Umweltauswirkungen als wesentlich erkannt – also im Sinne der Impact-Materialität. Die doppelte Wesentlichkeit, wie sie durch die ESRS gefordert wird, umfasst auch die finanzielle Wesentlichkeit – also die Frage, ob aus dem Verlust der biologischen Vielfalt Risiken oder Chancen für das Unternehmen entstehen. Biodiversitätsrisiken werden bislang nur vereinzelt von den Unternehmen erkannt und adressiert. Insgesamt wurden 53 wesentliche negative Auswirkungen berichtet, hingegen nur 22 wesentliche finanzielle Risiken.
Die Fokussierung auf negative Auswirkungen deutet darauf hin, dass Abhängigkeiten und Risiken, insbesondere im Hinblick auf die Resilienz von Lieferketten, bisher nur in begrenztem Umfang erkannt und strukturiert bewertet werden. Dabei sind funktionierende Ökosysteme eine zentrale Grundlage für die Versorgungssicherheit und damit für wirtschaftliche Stabilität. Unternehmen, die hier frühzeitig Transparenz schaffen und naturbezogene Risiken aktiv managen, können langfristig an Resilienz und Investorenvertrauen gewinnen.
Werden Biodiversitätsrisiken nur unzureichend identifiziert?
Die berichteten finanziellen Risiken, beziehen sich häufig auf Reputationsrisiken, beispielsweise im Zusammenhang mit Umweltauflagen und deren potenziellen Auswirkungen auf Betriebsgenehmigungen oder Kostenstrukturen. Die physische Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen oder die potenzielle Gefährdung globaler Wertschöpfungsketten durch Eingriffe in Ökosysteme – etwa infolge von Rohstoffgewinnung – wird bislang weniger systematisch aufgegriffen. Dabei können genau solche Risiken zu Lieferengpässen oder operativen Störungen führen und sind somit zunehmend von strategischer Bedeutung.
Systemische Risiken wurden bislang nur von einem Unternehmen als wesentlich identifiziert – obwohl ESRS E4 im Abschnitt IRO 1 §17(d) ausdrücklich fordert, solche Risiken in der Wesentlichkeitsanalyse zu berücksichtigen. Gemeint sind Risiken, die aus dem Zusammenbruch ganzer natürlicher Systeme entstehen – etwa durch das Zusammenwirken mehrerer kleiner Veränderungen, die sich gegenseitig verstärken und das Gleichgewicht von Ökosystemen dauerhaft stören können. Unternehmen können daraus auf vielfältige Weise beeinflusst werden: von eingeschränkter Rohstoffverfügbarkeit über Störungen in der Lieferkette bis hin zu regulatorischen Veränderungen. Diese komplexen, schwer vorhersehbaren Zusammenhänge werden bislang jedoch nur in Einzelfällen systematisch in der unternehmerischen Risikobewertung berücksichtigt.
Herausforderungen bei Zielsysteme und Kennzahlen
Die Komplexität des Themas Biodiversität spiegelt sich auch in der Entwicklung von Maßnahmen und Zielen in den Unternehmensberichten wider. Die Herangehensweisen bei der Definition von Risiken, Chancen und den darauf basierenden Maßnahmen sind unterschiedlich ausgeprägt und hängen stark von der Verfügbarkeit belastbarer Daten, methodischen Standards und dem jeweiligen Branchenkontext ab.
Nur zehn von 21 Unternehmen, die Biodiversität als wesentlich einstufen, berichten über gesetzte Ziele. Als Hürden nennen Unternehmen unter anderem die hohe inhaltliche Komplexität, sektor- und ortsspezifische Unterschiede sowie das Fehlen einheitlicher Datengrundlagen und Metriken.
17 von 21 Unternehmen berichten hingegen über Maßnahmen. Diese konzentrieren sich allerdings überwiegend auf einzelne Standorte oder Projekte. Eine strategische Einbettung in die Gesamtsteuerung des Unternehmens – etwa durch eine explizite Verankerung von Biodiversität und Ökosystemleistungen in der Nachhaltigkeitsstrategie – erfolgt bislang nur punktuell.
Fazit
Die Bedeutung der biologischen Vielfalt wird zunehmend erkannt, es bestehen jedoch erhebliche Herausforderungen. Während die Anzahl der Unternehmen, die Biodiversität als wesentlich einstufen, gestiegen ist, kämpfen viele mit methodischen und organisatorischen Hürden, insbesondere bei der Wesentlichkeitsanalyse. Die Berichterstattung erfolgt überwiegend aus der Perspektive negativer Umweltauswirkungen, während finanzielle Risiken und systemische Risiken, die aus dem Verlust der biologischen Vielfalt resultieren, nur unzureichend berücksichtigt werden. Zudem zeigen die Unternehmen eine heterogene Herangehensweise bei der Definition von Zielen und Maßnahmen. Eine frühzeitige Identifikation und das Management von naturbezogenen Risiken und Chancen haben eine zunehmend strategische Bedeutung und tragen langfristig zur Resilienz und zum Vertrauen von Investoren bei.
1 Das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) ist die deutsche Umsetzung der europäischen Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung (NFRD), dem Vorgänger der CSRD.